Die Schwabenkinder - Die Geschichte des Kaspanaze
Leseprobe

Kaspanaze war zum Heulen zumute, als er nun ganz allein mit Hansjakob dastand. Alle anderen hatten einen Platz gefunden, nur ihn wollte offensichtlich niemand. Die Zeit verging ganz langsam und immer weniger Leute kamen vorbei. Hansjakob sagte immer wieder, dass er schon noch eine Stelle finden würde, man müsse nur genug Geduld haben.
Ein Mann mit einem ins Genick geschobenen Hut und einem Lodenmantel blieb stehen, fixierte Kaspanaze von oben bis unten, sagte aber kein Wort.
"Was soll der kosten?" fragte er dann in freundlichem Ton, ohne den Blick vom Buben zu wenden.
"Fünfzehn und Gewand" sagte Hansjakob.
"Zwölf, schau doch, wie der aussieht. Der ist ja krank. Den muss man zuerst einmal ein paar Tage wieder auffüttern. Für zwölf würde ich ihn nehmen, weil er mir leid tut."
"Dreizehn. In zwei Tagen ist der wieder gesund und munter wie ein Vogel. Er hat sich halt auf dem Herweg erkältet."
Hansjakob war sich im klaren, dass er nicht mehr allzuviele Möglichkeiten hatte, Kaspanaze unterzubringen. Er versuchte noch einmal,den Preis auf dreizehn Gulden und Gewand zu halten, aber der andere ging nicht darauf ein.
"Zwölf und doppelt Häs oder gar nicht. So einen kriegst du doch an jedem Eck nachgeworfen. Ich würde ihn ja auch nur aus christlicher Barmherzigkeit nehmen."
Hansjakob zögerte einen Moment, schlug dann aber ein.
"Wo kommt Kaspanaze hin und wie heißt Ihr?"
"Wie heißt er, Kaspanaze? Sonderbarer Name. Ich heiße Gebstetter, mit Vornamen Baptist und mein Hof ist in Witterschwende. Mich kennt dort weitum jeder", erwiderte er stolz lächelnd.
Hansjakob notierte Namen, Ort und Preis auf seinem Zettel und steckte ihn dann in seinen Rucksack.
"Passt mir gut auf den Buben auf, er gehört meiner Schwester und ich habe ihr versprochen, dass er an einen guten Platz kommt."
"Bei uns ist er gut aufgehoben", meinte der Gebstetter fast beleidigt und wandte sich dann an Kaspanaze:
"Komm, nimm dein Zeug, wir gehen."
"Kriegt der Bub denn nichts zu essen wie die anderen?" wollte Hansjakob wissen.
"Daheim. Es ist nicht allzu weit. Dann kann er sich den Bauch richtig voll hauen, weil die Portionen in den Wirtschaften sind sowieso zu klein", antwortete fürsorglich der Bauer.

Hansjakob drückte seinem Neffen den Reisepass und das Schreiben vom Pfarrer in die Hand und ermahnte ihn, nicht zu vergessen, es bald dem Hochwürden an seinen neuen Ort zu bringen, damit dieser im Herbst auch eintragen könne, ob er auch brav am Sonntag in der Kirche und der Christenlehre gewese sei und sagte noch, er solle gut auf sich achtgeben.
Er verspürte keine große Lust, sich noch ins Wirtshaus zu setzen und sich von allen möglichen Leuten ausfragen zu lassen.Er wollte schauen, dass er hier wegkam und lieber heute noch ein gutes Stück Weg hinter sich bringen.

Gemächlich schritt der Gebstetter neben Kaspanaze zu seinem Fuhrwerk. Wenn er schon in der Stadt war, wollte er wenigstens in der Wirtschaft noch ein paar Krüge Bier trinken. Aber er war nicht an einer Auseinandersetzung mit Hansjakob interessiert, wenn dieser mitbekommen sollte, dass der Bub draußen bleiben musste. Immer wieder wandte er sich um und als er dann den Invaliden auf seinen Krücken davon humpeln sah, beschleunigte auch er seinen Schritt.
Kaum war Hansjakob aus seinem Blickfeld verschwunden, wich die Freundlichkeit schlagartig aus seinem Gesicht.
"Ich gehe noch in die Wirtschaft, du wartest hier, verstanden? Und pass mir gut auf das Ross auf!"
Seine Stimme klang mit einem Mal böse und gemein.
Kaspanaze nickte verängstigt.
Als der Gebstetter sich umdrehte, um in die "Krone" zu gehen, durchzuckte Kaspanaze der Schreck vom Haar bis zu den Zehenspitzen: Auf dem Rücken der rechten Mantelseite prangte ein breiter Kreidestreifen.