Hexenhammer
Malleus maleficarum

Leseprobe

Peter von Greyerz konnte nicht schlafen.
Schon mehrfach hatte er den Tag verwünscht, an dem er sich dazu überreden ließ, den bequemen und ruhigen Posten als Ratsherr in Bern aufzugeben und die Stelle als Landvogt hier im Obersimmental anzutreten. Da saß er nun auf der Blankenburg, die er vor ein paar Jahren aus einem Meierhof zu einer Festung hatte ausbauen lassen, fror sich vom Spätsommer bis ins späte Frühjahr in dem kalten Gemäuer den Hintern ab und schlug sich mit einer aufsässigen Landbevölkerung herum, die sich keinen Deut um die neue Berner Rechtssprechung scheren wollte, sondern auf ihren verbrieften Gewohnheitsrechten beharrte.
Seit 1392 war er nun schon hier und musste sich widerwillig eingestehen, dass er es beileibe nicht mit einem Haufen thumber Bauern zu tun hatte.
Früher, ja früher wäre es sicher noch einfach gewesen, die Leute unter der Knute zu halten.
Damals war das steile und enge Tal noch weitgehend abgeschnitten. Der Jaunpass, Pillon und Rawilpass führten in Gebiete wie das Greyerzerland, Waadtland, Mittel- und Oberwallis, deren Dialekte und Sprachen sie als Alemannen kaum oder überhaupt nicht verstanden.

Damals waren sie noch Selbstversorger und hatten nur selten einen Anlass, die Talschaft zu verlassen.
Die Schafe lieferten Milch und Wolle, Getreide wurde selbst angebaut und bei den Müllern im Tal vermahlen.
Die Umstellung auf die Großviehzucht war seit einigen Jahren im vollem Gange und machte es notwendig, Vieh und Fleisch auch außerhalb zu verkaufen, zudem musste das nunmehr fehlende Getreide zugekauft werden.

Zunehmend wuchs der Wohlstand wie er es in seiner unmittelbaren Nähe im Dorf Boltigen sehen konnte, aber mit ihm kamen auch neue Ansichten, Redereien und Tratsch ins Tal.
„Aufmüpfiges und renitentes Pack“, murmelte der Vogt und hieb mit der Faust auf die große eichene Tischplatte. Der leere Messingbecher klirrte leise am Weinkrug.
„Keinen Respekt mehr vor der Obrigkeit!“

Tatsächlich hatten sich die einheimischen Adelsgeschlechter in der Vergangenheit durch Fehden untereinander, Herrschaftsaufteilungen und Verschuldung selbst fast an den Bettelstab gebracht. Fremde Herren, die auch noch den verhassten Habsburgern nahe standen machten sich auf den Burgen breit.
Der andauernde Wechsel der Herrschaftsverhältnisse hatte dafür gesorgt, dass auch die Rechtssprechung weitgehend zum Erliegen kam. Oft erfolgten die Ablösungen so schnell, dass Gesetze, die gerade ein paar Monate alt waren, von heute auf morgen nichts mehr galten. Neue Verordnungen wurden aber schon wiederum nach ein paar Tagen über den Haufen geworfen, selbst die Gesetzgeber verloren in kürzester Zeit den Überblick. Die Leute begannen, ihre Streitereien unter sich auszutragen und ihre Ansprüche in blutigen Sippenfehden geltend zu machen.

Anfangs der achtziger Jahre lebte ein Mann im Tal, den sie „Scavius“, den „Räudigen“ nannten. Der „Räudige“ gehörte zu den besser Gestellten, er war gefürchtet, aber es gab noch Mächtigere und Stärkere als ihn. Um was es in der Blutfehde ging, schien kaum jemand genau zu wissen und diejenigen, die es wussten hielten lieber den Mund. Seine Feinde jagten ihn mit vielen Leuten in den steilen, schwer zugänglichen Bergwäldern, suchten ihn in den unheimlichen Mooren oben am Jaunpass, sie lauerten ihm nächtelang auf, konnten aber seiner nicht habhaft werden.

Der „Räudige“ verspottete sie in aller Öffentlichkeit und behauptete, er würde über Zauberkräfte verfügen und könne sich schneller als ein Blitz in eine Maus verwandeln. Was immer sie auch versuchten, er entkam ihnen immer wieder. Auch die Simmentaler glaubten wie alle Menschen, ob sie nun in einem Bergtal, dem flachen Land oder in einer Stadt wohnten, ob sie nun Richter, Bauer, Handwerker oder hochgestellte Beamte waren, an die Existenz von Zauberern. Und alle glaubten auch fest daran, dass es unter ihnen auch welche gebe, die sich in Tiere verwandeln können. Hier hatten sie aber nun den endgültigen Beweis dafür vor Augen. Wie sonst sollte es möglich sein, dass er über Jahre immer wieder entwischen konnte, was auch immer seine Todfeinde anstellten?

Letztendlich ging er ihnen aber doch noch in die Falle. Scavius saß eines abends in seiner Stube und behielt wie immer sorgsam die Türe im Auge, als seine Mörder sich unbemerkt an das Fenster heranschlichen, auf ihn schossen und ihn dann mit Messern und Schwertern vollends nieder metzelten.

Was wäre geschehen, wenn er einen seiner Häscher erblickt hätte?

Genau - in eine Maus hätte er sich verwandelt und wäre mit Sicherheit durch eine Ritze ins Freie entkommen.
Davon war auch Peter von Greyerz felsenfest überzeugt, obwohl er die Geschichte nur vom Hörensagen kannte.

***

Am Sonntag standen in Ravensburg die Menschen in Scharen vor der Liebfrauenkirche und die wenigen, die des Lesens mächtig waren, übersetzten den Umstehenden, was auf dem Anschlag stand. Hans Frauendienst machte sich lustig und auch seine Frau Els meinte, dass es sicher Zauberer gäbe, aber keine Hexen. Beide verstummten aber, als sie die giftigen Blicke der Umstehenden bemerkten.
Die Glocken hatten schon mit dem Zusammenläuten begonnen, aber kaum einer betrat die Kirche und erst als das Geläute die letzten Schläge tat, begannen die Leute ins Innere zu drängen.
Als der Prediger die Kanzel betrat, erkannte Els in ihm den Mönch wieder, der ihren Gruß vor ein paar Tagen so mürrisch erwidert hatte und der sich nun als Doktor der Theologie Heinrich Institoris und beauftragter Inquisitor für die Provinz Alemania vorstellte.
Seine Predigerkunst hatte er in den Jahren seiner Tätigkeit verfeinert und vervollkommnet. Seine Stimme war anfangs immer nur so laut, dass er gerade noch verstanden wurde, wobei er aber immer die Mienen der Gläubigen im Auge behielt und auf einen bestimmten Druck seiner Worte achtete. Beinahe wehmütig und mitfühlend trug er die Geschichte eines Jünglings hier aus Ravensburg vor, der noch am ersten Tag seiner Ankunft bei ihm gewesen sei und den eine Hexe verführt habe.
„Er war verzweifelt und sagte mir, er sei vom Teufel in Gestalt einer Frau zum fleischlichen Akt gereizt worden. Der junge Mann war sehr verängstigt, da der Teufel nicht von ihm ablassen wollte. Ich riet ihm, die Frau wieder aufzusuchen, aber vor Eintritt in die Stube geweihtes Salz zu sich zu nehmen. Als er dann eintrat, sah ihn die Frau mit finsterem Gesicht an und verschwand schimpfend, weil ihr einer der Teufel noch eilig davon berichtet hatte. Wir sehen also, der Satan war hier in Gestalt einer Hexe oder sogar selber leiblich anwesend, weil er beides bewerkstelligen kann.“

Heinrich Institoris hielt einen Moment inne und ließ seine Worte einwirken.
„Hier in der Diözese Konstanz hat das Hexenwesen ein solches Ausmaß angenommen, dass einem einfachen Christenmenschen davon speiübel werden kann. Woanders ist es zwar auch nicht besser, aber hier wird durchgegriffen. Meistens sind es Frauen, da das weibliche Geschlecht anfälliger für die Verlockungen des Teufels ist, da die Weiber auch einen schwächeren Glauben haben. Das geht schon aus dem lateinischen Namen „femina“ hervor.“ Femina“ heißt auf Deutsch „Frau“, setzt sich aber eigentlich aus zwei Worten „fe“ und „minus“ zusammen.

Er spürte förmlich, wie sie an seinen Lippen hingen.
„Fe“, fuhr er fort, „bedeutet „Glaube, Treue“ und „mina“ ist die weibliche Form von „minus“, also „weniger“.
„Was heißt also „Frau“ auf lateinisch?“, fragte er in das vollbesetzte Kirchenschiff mit lauerndem Unterton.

Unten war es mucksmäuschenstill. Selbst ein zu Boden fallender Strohhalm wäre zu hören gewesen.
„Jawoll“, seine Stimme schwoll an und er reckte den linken Arm mit ausgestrecktem Zeigefinger in die Höhe, “Frau“ bedeutet nichts anderes als „Weniger-Glauben“! Außerdem darf man nicht vergessen: Das Weib wurde aus einer Rippe des Mannes geschaffen, schon deshalb ist es also ein unvollkommenes Geschöpf. Nicht nur der geistige, sondern auch der körperliche Makel der Frauen beweist, dass sie niemals dem Manne gleichgestellt sein kann. Gewiss, es gibt auch verkommene und verderbte teufelsbuhlerische Mannsbilder. Aber allein aus der Minderwertigkeit des Weibes entstammt die Verführung zum Unglauben und zur Hexerei!“
Auch Agnes Bader, die in der vorletzten Reihe saß, zuckte zusammen.